Der Knoten ist geplatzt

EUROPEAN-CHAMPIONSHIPS-SERIE, TRIATHLON

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Mit dem Sieg bei der Olympia-Qualifikation in Kienbaum im Vorjahr hat sich die gebürtige Ingolstädterin Anabel Knoll in die Weltspitze katapultiert. Nach zahlreichen internationalen Top-Ten-Platzierungen träumt sie nun bei ihrem Heimrennen in München vom EM-Podium.

Der 26. Mai 2021 hat alles verändert. Mit ihrem Sieg beim verbandsinternen Olympia-Qualifikationsrennen in Kienbaum sicherte sich Triathletin Anabel Knoll seinerzeit nicht nur völlig überraschend das Ticket für die Spiele in Tokio, sie katapultierte sich quasi über Nacht in den Kreis der deutschen Topathletinnen und mischt seitdem auch international regelmäßig vorne mit. Für die gebürtige
Ingolstädterin ist die anstehende Europameisterschaft in München als Heimrennen natürlich ein besonderer Wettkampf. „Gerade hier unter die Top Fünf oder vielleicht sogar aufs Podium zu kommen, wäre natürlich Wahnsinn“, sagt die 26-Jährige.

Seit dem Jahr 2019 ist Knoll Profi, aber vor allem seit Kienbaum merkt die Biologie-Studentin, dass sich ihre Leistungen und der Blick auf sie verändert haben. „Seit dem Frühjahr 2021 geht es definitiv bergauf, und ich merke, wie ich besser werde. Parallel dazu ist es natürlich angenehm, dass mich jetzt auch der Verband auf dem Radar hat, ich für Wettkämpfe nominiert und nicht vergessen werde“, sagt sie. Olympische Spiele, die erstmals ausgetragene internationale Arena-Games-Serie und zahlreiche Weltcup-Rennen – Knolls Programm im zurückliegenden Jahr war ein regelmäßiges Kräftemessen mit der Weltspitze. Nach Platz 31 in Tokio und Gesamtrang drei bei den Arena Games folgten bei der internationalen WTCS-Serie mehrere Top-Platzierungen. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich in dieser Saison gleich bei allen Weltcup-Rennen dabei sein kann. Dass ich da dann auch noch mehrfach in den Top Ten lande – wenn mir das vor einem Jahr jemand gesagt hätte, den hätte ich doch für verrückt erklärt“, erzählt Knoll mit einem Lachen.

Durch diese vielen neuen Erfahrungen gehe sie inzwischen „ein bisschen entspannter“ an den Start, erzählt sie, „auch wenn der Druck ja eigentlich immer größer wird“. Dabei scheint sie ihrem Leistungssprung selber noch nicht ganz zu trauen, vor allem beim Laufen. „Mitunter fehlt mir beim 10-Kilometer-Lauf auf der Olympischen Distanz noch das Selbstvertrauen, um ganz nach vorne zu gehen“, verrät Knoll, die nach dem Schwimmen und dem anschließenden Radfahren oft genug sogar das Feld anführt. Dabei hat sie gerade auf der letzten der drei Triathlon-Disziplinen in den vergangenen Monaten merkliche Fortschritte gemacht. Hintergrund dürfte sein, dass sie nach einigen Verletzungen in der Vergangenheit seit inzwischen drei Jahren auch auf der Laufstrecke kontinuierlich trainieren kann. „Aber es fällt mir eben immer noch schwer, wirklich darauf zu vertrauen“, sagt sie und berichtet von den inneren Kämpfen während des Weltcup-Rennens in Hamburg.

„Gleich zu Beginn des Laufes habe ich einfach mal ,Scheiß drauf’ zu mir gesagt und bin an den Besten drangeblieben. Ich wollte einfach sehen, wie lange es gutgeht.“ Ihr Mut wurde mit Rang sechs belohnt, wobei sie im Ziel nur drei Sekunden hinter der deutschen Top-Athletin Laura Lindemann lag, die ihr im Laufen ansonsten immer wieder deutlich mehr Zeit abgenommen hatte. „Da ist schon ein Stück weit der Knoten geplatzt“, freut sich Knoll.
Ein Erlebnis, das ihr bei der anstehenden EM in München hilft? Die 26-Jährige, die inzwischen in Nürnberg wohnt, ist hin- und hergerissen. Zum einen, weil sie beim Wettkampf vor knapp zwei Wochen in Pontevedra (Spanien) als 14. erstmals in dieser Saison hinter ihren Erwartungen geblieben ist. Auf der anderen Seite will sie das Ergebnis aber auch nicht überbewerten, weil sie diesen Wettkampf aus dem vollen Training heraus bestritten habe. Und vor allem das gerade beendete vierwöchige Höhentrainingslager in Font-Romeu (Frankreich) zielte nun auf die European Championships in München ab.

Auf dem Kurs durch den dortigen Olympiapark erwartet Knoll, die neben Lindemann, Lisa Tertsch, die letztjährige Vize-Europameisterin Annika Koch und Marlene Gomez-Göggel eine von fünf deutschen Starterinnen ist, nicht zuletzt aufgrund der äußerst kompakten Streckenführung ein „sehr anspruchsvolles Rennen“. Der Vorteil: das Schwimmen (1,5 Kilometer, zwei Runden im Olympiasee), das Radfahren (39,2 Kilometer, acht Runden im Park) und das abschließende Laufen (10 Kilometer, vier Runden im Park) werden von den Zuschauern jederzeit gut zu verfolgen sein. Die Rennatmosphäre dürfte stimmungsvoll werden.

In Abwesenheit der britischen Spitzensportlerinnen, die ihre Commonwealth Games in Birmingham bevorzugten, nennt Knoll im Favoritenkreis ihre Teamkollegin Lindemann Potsdam) und die Französin Cassandra Beaugrand. Sie mag selber aber natürlich auch ein Wörtchen mitreden. Ihr „Ja gut, wenn es nur eine Top-Ten-Platzierung wird, wäre es wohl auch nicht dramatisch“, lässt durchblicken, dass sie sich fürs Heimrennen besonders viel vorgenommen hat. Und wer weiß, vielleicht kann Knoll wieder überraschen. Dann würde der 12. August 2022 (17:15 Uhr, Einzelrennen der Frauen) ohne Zweifel ebenfalls zu einem besonderen Datum für sie werden.

EUROPEAN CHAMPIONSHIPS MÜNCHEN 2022

München wird 50 Jahre nach den Olympischen Spielen von 1972 erneut zum Zentrum der Sportwelt: Vom 11. bis 21. August 2022 geht es bei den European Championships unter dem Motto „Back to the roofs“
(„Zurück zu den Dächern“) in neun Sportarten um 177 EM-Titel. Bis zum Start der Multi-EM in den Sportarten Beachvolleyball, Kanu, Klettern, Kunstturnen, Leichtathletik, Radsport, Rudern, Tischtennis und Triathlon stellten wir in einer zehnteiligen Serie verschiedene Athletinnen und Athleten, ihre Disziplinen sowie die Wettkampfstätten vor; dies ist der letzte Teil. Norbert Roth, DK